Wo ist denn die Nächstenliebe hin?

Liebe Eltern, liebe Kolleg*innen, liebe Freund*innen des Kinderhauses Kottgeisering und von FortSchritt Bayern, wir freuen uns sehr, diese schöne Geschichte mit Euch und Ihnen teilen zu dürfen.
Wir wünschen allen einen schönen und besinnlichen St. Martins-Tag!

Ich geb dir meine Laterne

München, Hauptbahnhof. Menschenmassen tummeln sich auf und vor den verschiedenen Gleisen. Per Lautsprecher wird verkündet, dass der ICE aus Dresden heute 30 Minuten später ankommen wird. Es ist laut. Es ist hektisch. Irgendwie ist es stickig. Ich fühle mich unwohl. Die Menschen um mich herum ziehen eine Fresse wie Drei-Tage-Regenwetter. Und ich, ich mache mit. Ich stehe inmitten der Menschenmassen mit hämmernden Kopfschmerzen. Mir ist schlecht. Ich habe Durst. Ich habe einen fiesen Kater. Jeden Augenblick müsste mein Besuch aus dem Allgäu aus dem Zug steigen. Sie besuchen mich für das Oktoberfest. Ich fühle mich aber wie das sprichwörtliche Häufchen Elend aktuell. Nicht einmal die kalte Dusche heute Morgen hat geholfen. Mit meinen glasigen, rot untersetzten Augen sehe ich mich um. Eine adrett gekleidete Dame in ihren 80gern steuert auf mich zu. Sie guckt nicht grimmig. Sie grinst. Nein, sie strahlt. Sie scheint die einzige Person am gesamten Münchner Hauptbahnhof zu sein, bei der die Mundwinkel nicht nach unten zeigen. Sie kommt direkt auf mich zu und sagt: „Junger Mann, sie haben wirklich ganz wundervolle Haare. Ich hoffe, sie wissen das. Einen schönen Tag noch.“

So plötzlich wie sie in mein Leben getreten war, so schnell war sie auch wieder in den Menschenmassen verschwunden. Verschwunden wie mein Kater. Mit nur ein paar Worten wurde mein Katertag zu einem großartigen Tag. Meine glasigen, rot untersetzten Augen glänzen. Der mürrische Gesichtsausdruck wird durch ein strahlendes Lächeln ersetzt. So einfach kann es manchmal sein.

Ob Frisur, Schuhe oder Anziehsachen
Wir können uns so viele Komplimente machen
Schöne Worte zaubern immer ein schönes Lachen.

Und traut ihr euch nicht sowas zu Fremden zu sagen,
Dann könnt ihr auch einfach fragen:
„Kann ich Ihnen helfen? Vielleicht beim Einkäufe tragen?

Und ist auch Tragen noch zu schwer
Türen aufhalten kommt überhaupt nicht quer
Egal wer folgt, ob ihm, ihr oder nonbinär.

Und wird auch das Halten dir zur Qual
Mach „dem Busfahrer danken“ zum neuen Ritual
Denn Manieren waren und werden nie illegal.

Und apropos öffentliche Verkehrsmittel: Im Bus, der Tram oder in der Bahn
Sein Platz zu überlassen ist gleich getan
Für Schwangere, Verletzte oder dem dorfbekannten Veteran.

Und Platz überlassen geht auch in der Schlange
Beim Einkaufen, ganz ohne Angst und Bange
Hat der And`re nur ein zwei Sachen, dauert Bezahlen echt nicht lange.

Wer nun jammert, warum man das denn tun sollte,
es bringt mir rein gar nichts, ist nichts, was ich wollte.
Wir leben im täglich negativen Egoismus,
und ignorieren die Schönheit von Altruismus.

Wann haben wir angefangen zu denken, dass alles immer nur UNS etwas bringen muss?
UNS einen Vorteil verschaffen muss?
UNSER Leben verbessern muss?

Wo ist denn nun die Nächstenliebe hin?
Dafür feiern wir doch jedes Jahr Sankt Martin.
Mit Laternen streifen wir durch die Straßen
Und zelebrieren so seine selbstlosen Taten.

Wo ist denn nun die Nächstenliebe hin?
Wir können jeden Funken Positivität gebrauchen
Sind es doch die Medien, die uns täglich mehr Unsicherheit einhauchen.
Bei Kriegen, Inflation, Rechtsruck und Klimakrise.
Ist Negativität weiter die Devise.

Wo ist denn nun die Nächstenliebe hin?
Wir alle, als Sankt Martin der Moderne.
Mit Funken der Positivität, zündet an die Laterne.
Mit Komplimenten machen, Einkaufstüten tragen
Türen aufhalten und dem Busfahrer „Danke“ sagen.
Für mehr Positivität im Alltagsleben.
Seinen Sitzplatz im Bus dem Nächsten geben.
Oder beim Warten an Supermarktkassen,
die mit wenig Sachen schnell vorlassen.
Das alles kostet gar kein Geld.  
Bedeutet der anderen Person aber vielleicht die Welt.
Also nehmt diese Funken, zieht los wie ein Held,
für mehr Positivität, wenn sich keiner enthält.

Und deshalb, das Letzte was ich jetzt sage:
Sie da, Sie haben wirklich ganz wundervolle Haare. Ich hoffe Sie wissen das.
Einen schönen Abend noch.
Aus dem Poetry Slam Buch „Mit Fau“ von Christian Veit